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July 28, 2009

Zur Zukunft Ostturkestans

Mehmet ÖZKAN
Sonntag 19. Juli 2009

http://www.igmg.de/nachrichten/artikel/zur-zukunft-ostturkestans.html

Ostturkestan ist ein Ort voller Konflikte, der in der muslimischen Welt viel beweint, für den jedoch herzlich wenig getan wird. Auch im Westen weiß man wenig über die Hintergründe der Probleme der autonomen chinesischen Provinz. So entsteht der Eindruck, dass diesem Problemfeld wenig Beachtung geschenkt wird. Auch wenn sich die ostturkestanische Diaspora im Ausland weitestgehend organisiert hat, so ist sie dennoch weit davon entfernt, eine realpolitische Herangehensweise zu entwicklen, um Einfluss auf die Heimat ausüben zu können. Auch wenn dieses Phänomen einer Erläuterung bedarf, möchten wir uns in diesem Artikel mit den Problemen Ostturkestans auf politischer und strategischer Ebene beschäftigen.

Ostturkestan liegt nordwestlich von China. Mit der Hauptstadt Xinjang beträgt die Zahl der muslimischen Bevölkerung von Ostturkestan ca. 20 Millionen. Durch die bewusste demografische Politik Chinas wurden in den letzten Jahren zahlreiche chinesische Bürger in dieses Gebiet gebracht, um so die eigentliche uigurische Bevölkerung zu einer Minderheit zu degradieren und etwaige Unabhängigkeitsbestrebungen zu verhindern. Im Zuge dieser Politik werden Uiguren dazu ermutigt, aus diesem Gebiet auszuwandern. Die Bevölkerung darf sich politisch nicht zusammenschließen. Zudem werden ihr viele Freiheiten abgesprochen. Der Lebensstandard wird durch die schlechten wirtschaftlichen Bedingungen verschlimmert. Aufgrund des niedrigen Bildungsniveaus der Bevölkerung sowie der Auswanderung qualifizierter Fachkräfte sieht die Zukunft Ostturkestans nicht gerade rosig aus. Gar von einer Assimilation der Bevölkerung ist die Rede. Unter Beachtung dieser allgemeinen Rahmenbedingungen ist es möglich, die Probleme in Ostturkestan im Zusammenhang von aktuellen politischen Ereignissen in China zu analysieren.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Ostturkestan auf der internationalen Bühne keine Relevanz hat. Doch es ist noch schlimmer: Global betrachtet ist Ostturkestan einem allgegenwärtigen Desinteresse ausgeliefert. Der Grund hierfür ist nicht nur, dass sich niemand in einen Konflikt mit China begeben möchte; Staaten oder internationale Organisationen sehen in China einen starken Handelspartner und wollen nicht ohne weiteres dieses Bündnis riskieren. Damit wird die Zukunft Ostturkestans vollständig in die Hände Chinas gelegt. Viele Staaten betrachten China als potenzielle Investor und Unterstützer auf dem globalen Markt. Auf der anderen Seite spielt zweifellos die bewusste Benennung der Unabhängigkeitskämpfe Ostturkestans als Akt des „Terrorismus“ eine wichtige Rolle. Die USA und sogar Europa sehen in Ostturkestan kein Menschenrechtsproblem, sondern ein innenpolitisches Terrorismusproblem. Doch sich mit dem Problem Ostturkestans zu befassen, bedeutet – wie man es auch angeht–unweigerlich eine Konfrontation mit China. Dem Desinteresse sowohl im Westen als auch in der islamischen Welt gegenüber dem Ostturkestan-Konflikt liegt hauptsächlich die „Angst“ vor dem Mythos des unaufhaltbaren Aufstiegs Chinas zugrunde.

Regional betrachtet hat Ostturkestan hauptsächlich zwei Probleme: die Benennung der Region und die Politik Chinas. Dass die Region bewusst „Ostturkestan“ genannt wird, wirft die Frage auf, wo sich denn West-Turkestan befindet. Die Unabhängigkeit Ostturkestans erscheint insofern als die einzig plausible Lösung, da sein Bruderland West-Turkestan ein unabhängiges Land ist. Dies spielt sowohl bei den Uiguren in diesem Gebiet als auch bei denjenigen in der Diaspora bei der Selbstidentifizierung eine wichtige Rolle. Auf der anderen Seite sieht sich China als der alleinige Herrscher in diesem Gebiet und möchte weiterhin seine Macht ausbauen und beibehalten. Die chinesische Benennung dieses Gebiets als „Xin Jiang“, was übersetzt „neue Grenze“ heißt, ist keinesfalls willkürlich gewählt. Damit wird darauf angespielt, dass diese Grenze auf alle Fälle verteidigt werden soll. Dies bringt eine gewaltsame Politik seitens Chinas mit sich, mit der jeder Unabhängigkeitsprotest gewaltsam erstickt wird.

Die Analyse der Problemzone Ostturkestan innerhalb der chinesischen Innenpolitik ist für die Zukunft der Region von immenser Bedeutung. Mit einem Wirtschaftwachstum von 12 Prozent im Jahr hat sich China als die mächtigste Wirtschaftsriese entpuppt. Dies bringt die Frage mit sich, ob China überhaupt von der Chinesischen Kommunistischen Partei oder doch vom internationalen Wirtschaftssystem beherrscht wird. Mit der Öffnung zur globalen Welt erlebt China jedoch auch eine Veränderung in der Gesellschaftsstruktur, die unter anderem zu einem Bruch in der Tradition führt. Auch wenn dies von Chinesen gerne übersehen wird, muss sich China mit dieser gesellschaftlichen Veränderung auseinandersetzen. China, das Land, dessen wirtschaftliches und politisches System kritisiert wird, verschiebt immer wieder die Lösung seiner hauptsächlichen drei Problemzonen: Taiwan, Tibet und Ostturkestan. Gerne wird die Realität in dieser Region manipuliert. Die Herangehensweise Chinas an diese Probleme ist eine gewaltsame. Durch die anhaltende Integration Chinas in das internationale Machtssystem ist zu vermuten, dass sich die chinesische Innenpolitik frühestens in 15 bis 20 Jahren stabilisieren wird. Daher ist davon auszugehen, dass sich China erst dann zu einer Auseinandersetzung mit den oben genannten Problemzonen heranwagen kann. So gesehen kann man in absehbarer Zeit keine zufriedenstellende Lösung für das ostturkestanische Problem erwarten.

Doch nichtsdestoweniger spielen die internationale Gesellschaft und die muslimische Welt in diesem Zeitraum eine wichtige Rolle. Auf weiter Sicht ist es angebrachter nach einer stabileren Lösung in Ostturkestan zu suchen, anstatt nur dessen Unabhängigkeit zu befürworten. Nichtregierungsorganisationen und Handelsunternehmen könnten dazu beitragen, dass soziale Identität und Selbstwertgefühl in diesem Gebiet geschaffen wird. Dies gewinnt insofern an Bedeutung, wenn man miteinbezieht, dass zahlreiche Exil-Uiguren nach ihrem Studium nicht den Heimweg zurückfinden. Es ist daher in dieser Hinsicht lebenswichtig, dass neue Führungspersönlichkeiten unter der nächsten Generation gefunden und so der Auswanderung qualifizierter Fachkräfte vorgebeugt wird. Unter Berücksichtigung des fehlenden Wissens über diese Region und der Stellung Chinas innerhalb der globalisierten Welt gewinnen die Potenziale der Nichtregierungsorganisationen in der Brückenfunktion zwischen Ostturkestan und der restlichen Welt immer mehr an Bedeutung. (ab)